Die Menschen kehren zurück
Das Relikt kam verstohlen die Felsspalte herunter, ein hageres, dahintaumelndes Geschöpf mit gemarterten Augen. Es bewegte sich in einer Folge schneller Sprünge, jede Deckung ausnutzend, hinter jedem vorüberziehenden Schatten dahinrennend, manchmal auf allen vieren kriechend, den Kopf dicht am Boden. Als es schließlich den letzten niedrigen Felsvorsprung erreichte, blieb es stehen und spähte über die Ebene hinaus.
Weit in der Ferne erhoben sich niedrige Hügel, die in den Himmel übergingen, der gelblich fahl und gesprenkelt wirkte, wie schlechtes Milchglas. Die Ebene, die dazwischen lag, wirkte wie angefaulter Samt, schwarzgrün und runzelig, mit Streifen von Ocker und Rost dazwischen. Eine Fontäne aus flüssigem Felsgestein stieg hoch in die Lüfte und verzweigte sich in schwarze Koralle. In mittlerer Ferne entwickelte sich eine Familie aus grauen Objekten, denen man eine gewisse zielgerichtete Zweckmäßigkeit anmerken konnte: Sphären verschmolzen in Pyramiden und wurden zu Kuppeln, zu Türmchen, den Himmel durchdringende Stangen; und dann, als letzte tour de force, Tesserakte.
Dem Relikt bedeutete alles das nichts; es brauchte Nahrung, und draußen auf der Ebene gab es Pflanzen. So lange es nichts Besseres gab, würden sie ihm reichen. Sie wuchsen aus dem Boden oder manchmal auf einem Flecken Wassers oder sie umgaben einen Kern aus hartem, schwarzem Glas. Sie waren feuchte, schwarze Blätterlappen, Klumpen aus spärlichen Dornen, bleichgrüne Knollen, Stengel mit Blättern und verzerrten Blüten. Sie gehörten keiner erkennbaren Gattung an, und das Relikt konnte nicht wissen, ob die Blätter und Fasern,
die es gestern gegessen hatte, es heute vergiften würden.
Es erprobte die Oberfläche der Ebene mit dem Fuß.
Die glasige Fläche (obwohl sie ebenfalls wie eine Konstruktion aus roten und graugrünen Pyramiden erschien) nahm sein Gewicht an und sog plötzlich an seinem Bein. Erschreckt riß sich das Relikt los, sprang zurück und kauerte auf dem einen Augenblick lang massiven Felsgestein.
Hunger nagte an seinem Magen. Es mußte essen. Es betrachtete die Ebene. Nicht weit entfernt spielten ein paar Organismen – rutschten, sprangen, tanzten, nahmen Posen ein. Falls sie sich nähern sollten, würde es versuchen, einen von ihnen zu töten. Sie ähnelten Menschen und sollten sich daher gut für eine Mahlzeit eignen.
Es wartete. Lange Zeit? Kurze Zeit? Es hätte beides sein können; Dauer hatte weder quantitative noch qualitative Realität. Die Sonne war verschwunden, und es gab keine Standardzyklen und keine Wiederkehr. Zeit war zu einem leeren Wort geworden, dem jegliche Bedeutung fehlte.
Es war nicht immer so gewesen. Das Relikt hatte sich ein paar ausgefranste Erinnerungen an die alten Tage bewahrt, ehe System und Logik obsolet geworden waren. Der Mensch hatte die Erde kraft einer einzigen Annahme beherrscht: der, daß man eine Wirkung auf eine Ursache zurückverfolgen konnte, die selbst wiederum Wirkung einer vorangegangenen Ursache war.
Wenn man dieses grundlegende Gesetz manipulierte, so führte das zu reichen Resultaten; für jegliches andere Werkzeug oder Instrument schien es keinen Bedarf zu geben. Der Mensch gratulierte sich zu dieser seiner verallgemeinerten Struktur. Er vermochte in der Wüste, auf der Ebene, auf Eis, im Wald, in der Stadt zu überleben; die Natur hatte ihn nicht für eine spezielle Umgebung geformt.
Er war sich seiner Verletzlichkeit nicht bewußt. Die Logik war seine besondere Umgebung; sein Gehirn sein besonderes Werkzeug.
Dann kam die schreckliche Stunde, in der die Erde in eine Tasche der Nichtkausalität hineinrutschte, und all die geordneten Spannungen von Ursache und Wirkung lösten sich auf. Das spezielle Werkzeug war nutzlos; es konnte die Realität nicht mehr fassen. Von den zwei Milliarden Menschen überlebten nur einige wenige – die Wahnsinnigen. Sie waren jetzt die Organismen, die Herren ihrer Ära, und ihreDissonanzen bildeten ein so exaktes Äquivalent zu den Unberechenbarkeiten des Landes, daß sie für sich eine eigenartig wilde Weisheit darstellten. Aber vielleicht war es auch so, daß die desorganisierte Materie der Welt losgelöst von der alten Organisation für Psychokinese besonders sensitiv war.
Eine Handvoll anderer, die Relikte, schafften es, zu existieren, aber nur zufolge einer delikaten Kombination von Umständen. Sie waren diejenigen, die am stärksten mit der alten kasuellen Dynamik geladen waren. Sie hielt hinreichend an, um ihren Stoffwechsel zu kontrollieren, reichte aber nicht weiter. Sie starben schnell aus, denn Vernunft bot keinen hinreichenden Hebel, um ihre Umgebung zu kontrollieren. Manchmal klirrte ihr eigenes Bewußtsein, flammte auf, und dann erfaßte sie der Wahnsinn, und sie sprangen hinaus in die Ebene.
Die Organismen beobachteten sie weder überrascht noch neugierig; wie konnte es auch so etwas wie Überraschung geben? Vielleicht blieb das verrückte Relikt bei einem Organismus stehen und versuchte, die Existenz des Geschöpfes zu duplizieren. Der Organismus aß einen Mundvoll von einer Pflanze; das Relikt tat es ihm gleich. Der Organismus rieb sich die Füße mit zerdrücktem Wasser; das Relikt tat es ihm gleich.
Und gleich darauf starb das Relikt dann am Gift oder an zerfetzten Eingeweiden oder Hautabschürfungen, während der Organismus sich in dem schlaffen, schwarzen Gras entspannte. Oder vielleicht versuchte der Organismus das Relikt zu essen, und das Relikt rannte erschreckt davon, unfähig, irgendeinen Teil der Welt zu ertragen – rannte davon in Sätzen, die dicke Luft mit der Brust auseinanderschiebend, die Augen geweitet, den Mund geöffnet, schreiend und keuchend, bis es schließlich in einem Tümpel aus schwarzem Eisen unterging, oder in ein Vakuum hineintaumelte und wie eine Fliege in einer Flasche um sich schlug.
Es gab jetzt nur noch sehr wenige Relikte. Finn, zum Beispiel, der auf dem Felsen kauerte und über die Ebene hinaussah, lebte mit vier anderen zusammen. Zwei von ihnen waren alte Männer und würden bald sterben. Finn würde ebenfalls sterben, wenn er nichts zu essen fand.
Draußen auf der Ebene setzte sich einer der Organismen; Alpha schnappte sich eine Handvoll Luft, eine Kugel aus blauer Flüssigkeit, einen Stein, knetete sie zusammen, sog an der Mixtur wie an Lakritze und stieß sie dann an. Sie breitete sich aus seiner Hand aus, entfaltete sich wie Seil. Das Relikt duckte sich. Keiner konnte sagen, welche Teufelei dem Geschöpf jetzt in den Sinn kommen würde. Er und all die anderen waren so – unvorhersehbar; das Relikt schätzte ihr Fleisch als Nahrung; aber sie würden ihn ebenfalls aufessen, wenn sich eine Gelegenheit bot. Im Konkurrenzkampf hatte das Relikt einen großen Nachteil. Ihre willkürlichen Handlungen verblüfften es. Wenn es, um zu entkommen, zu rennen anfing, würde der schlimmste Schrecken erst anfangen. Die Richtung, in die es sein Gesicht wandte, war nur ganz selten die Richtung, in die die unterschiedlichen Reibungen des Bodens ihm eine Bewegung erlauben würden. Aber die Organismen waren ebenso willkürlich und nicht festgelegt wie ihre Umgebung, und der doppelte Satz an Ungewißheit verstärkte sich manchmal, kürzte sich aber manchmal auch weg. In letzterem Falle war es durchaus möglich, daß die Organismen es fingen und…
Es war unerklärlich. Aber schließlich war alles unerklärlich. Das Wort ›Erklärung‹ hatte keine Bedeutung.
Sie bewegten sich jetzt auf ihn zu; hatten sie ihn gesehen? Finn preßte sich gegen den mürrischen gelben Felsen.
Die beiden Organismen verhielten nicht weit entfernt. Er konnte ihre Geräusche hören und duckte sich, die einander widerstrebenden Qualen von Hunger und Furcht machten ihn krank.
Alpha sank auf die Knie, legte sich auf den Rücken, die Arme und Beine willkürlich ausgestreckt, und wandte sich in einer Folge musikalischer Rufe, Zischlaute und gutturaler Geräusche an den Himmel. Das war eine persönliche Sprache, die er erst in diesem Augenblick improvisiert hatte, aber Beta verstand ihn gut.
»Eine Vision«, rief Alpha. »Ich sehe am Himmel vorbei. Ich sehe Knoten, sich drehende Kreise. Sie verdichten sich zu harten Punkten; und sie lösen sich nicht mehr voneinander.«
Beta kauerte auf einer Pyramide und sah über die Schulter zu dem fleckigen Himmel auf.
»Eine Intuition«, sang Alpha, »ein Bild aus der anderen Zeit. Das ist hart, unbarmherzig, unflexibel.«
Beta, immer noch auf der Pyramide sitzend, tauchte durch die glasige Oberfläche, schwamm unter Alpha durch, tauchte wieder auf und legte sich neben ihn.
»Sieh doch das Relikt am Hügel. In seinem Blut ist alles von der alten Rasse – die schmalen Menschen mit einem Geist wie Sprünge. Von ihm geht die Intuition aus. Ein tolpatschiges Ding – ein Stolperer«, sagte Alpha.
»Sie sind alle tot, sie alle«, sagte Beta. »Obwohl es noch drei oder vier gibt.« (Wenn es so etwas wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht mehr gibt, sie nichts mehr sind als Ideen, die aus einer anderen Epoche übriggeblieben sind, nutzlos wie Boote auf einem ausgetrockneten See – kann man nie definieren, wann ein Vorgang abgeschlossen ist.)
Alpha sagte: »Dies ist die Vision. Ich sehe, wie die Relikte über die Erde schwärmen; und dann nach irgendwohin weggeblasen werden wie Schnaken im Wind. Das ist hinter uns.«
Die Organismen lagen still da und dachten über die Vision nach.
Ein Stein, oder vielleicht ein Meteor, fiel vom Himmel und bohrte sich in die Oberfläche des Tümpels. Er hinterließ ein kreisförmiges Loch, das sich langsam schloß. Aus einem anderen Teil des Tümpels spritzte Flüssigkeit in die Höhe, trieb davon.
Alpha sprach: »Wieder – die Intuition kommt ganz kräftig! Es wird Lichter am Himmel geben.«
Das Fieber starb in ihm. Er krümmte einen Finger in der Luft, zog sich daran in die Höhe.
Beta lag still da. Schnecken, Ameisen, Fliegen, Käfer krochen über ihn, vermehrten sich. Alpha wußte, daß Beta sich erheben konnte, die Insekten abschütteln, davongehen. Aber Beta schien die Passivität vorzuziehen. Das war gut so. Er konnte einen anderen Beta hervorbringen, wenn er das wollte, oder ein Dutzend davon. Manchmal wimmelte die Welt von Organismen, alle Arten, alle Farben, groß wie Scheunen oder niedrig wie Blumentöpfe.
»Ich empfinde einen Mangel«, sagte Alpha. »Ich werde das Relikt essen.« Er setzte sich in Bewegung, und der schiere Zufall brachte ihn zu dem gelben Felsvorsprung. Finn, das Relikt, sprang erschreckt auf.
Alpha versuchte zu kommunizieren, damit Finn innehalten möge, während Alpha aß. Aber Finn konnte die vielwertigen Nebentöne von Alphas Stimme nicht erfassen. Er packte einen Stein und warf ihn nach Alpha. Der Stein verpuffte in eine Staubwolke und wehte dem Relikt ins Gesicht.
Alpha kam näher, streckte die langen Arme aus. Das Relikt trat nach ihm. Seine Füße wurden unter ihm weggezogen, und er glitt auf die Ebene hinaus. Alpha trottete gemächlich hinter ihm her. Finn begann davonzukriechen. Alpha bewegte sich nach rechts – eine Richtung war ebensogut wie jede andere. Er stieß mit Beta zusammen und fing an, Beta anstelle des Relikts zu essen. Das Relikt zögerte; dann kam es näher, schloß sich Alpha an und schob sich Brocken von rosafarbenem Fleisch in den Mund.
Alpha sagte zu Relikt: »Ich war gerade im Begriff, ihm, den wir gerade verspeisen, eine Intuition bekanntzugeben. Jetzt will ich mit dir sprechen.«
Finn konnte Alphas persönliche Sprache nicht verstehen. Er aß so schnell wie möglich.
Alpha fuhr fort: »Es wird Lichter am Himmel geben. Die großen Lichter.«
Finn erhob sich, packte Betas Beine, wobei er Alpha vorsichtig musterte, und begann ihn zum Hügel hinzuziehen. Alpha sah ihm mit rätselhafter Gleichgültigkeit zu.
Für das spindeldürre Relikt war das schwere Arbeit. Manchmal schwebte Beta; manchmal hing er in der Luft, manchmal klebte er am Boden. Schließlich sank er auf einen Granitblock, der um ihn herum gefror. Finn versuchte, Beta loszureißen und schließlich ihn mit einem Stock hochzuhebeln, aber es gelang ihm nicht.
Von Unschlüssigkeit geplagt, rannte er hin und her. Beta begann zusammenzubrechen, einzuschrumpfen wie eine Qualle auf heißem Sand. Das Relikt ließ ihn liegen. Zu spät, zu spät! Nahrung, die vergeudet wurde! Die Welt war ein häßlicher Ort der Enttäuschung!
Für den Augenblick war sein Bauch voll. Er ging wieder die Felsspalte hinauf und fand schließlich das Lager, wo die vier anderen Relikte warteten – zwei uralte Männer, zwei Frauen, Gisa und Reak, waren wie Finn auf Nahrungssuche gewesen. Gisa hatte ein Stück Moos mitgebracht. Reak einen Brocken namenloses Aas.
Die alten Männer, Boad und Tagart, saßen ganz stumm da und warteten entweder auf Nahrung oder den Tod.
Die Frauen begrüßten Finn mürrisch. »Wo ist die Nahrung, die du suchen wolltest?«
»Ich hatte einen ganzen Kadaver«, sagte Finn. »Ich konnte ihn nicht tragen.«
Boad hatte ihr schlau das Stück Moos gestohlen und stopfte es sich in den Mund. Jetzt erwachte es zum Leben, zuckte und strömte einen roten Saft aus, der giftig war, und der alte Mann starb.
»Jetzt haben wir Nahrung«, sagte Finn. »Laßt uns essen!«
Aber das Gift erzeugte Fäulnis; die Leiche überzog sich mit blauem Schaum und löste sich auf.
Die Frauen wandten sich um und sahen den anderen alten Mann an, der mit zitternder Stimme sagte: »Eßt mich, wenn ihr müßt – aber warum wählt ihr nicht Reak, wo die doch jünger ist als ich?«
Reak, die jüngere der beiden Frauen, die an dem Stück Aas kaute, gab keine Antwort.
Und Finn sagte mit hohler Stimme: »Weshalb zerbrechen wir uns den Kopf? Es wird immer schwieriger, Nahrung zu beschaffen, und wir sind die letzten aller Menschen.«
»Nein, nein«, sprach Reak. »Nicht die letzten. Wir haben welche gesehen, auf dem grünen Haufen.«
»Das ist lange her«, sagte Gisa. »Jetzt sind sie sicher tot.«
»Vielleicht haben sie eine Nahrungsquelle gefunden«, schlug Reak vor.
Finn erhob sich und blickte über die Ebene. »Wer weiß? Vielleicht gibt es hinter dem Horizont ein angenehmeres Land.«
»Nirgends ist etwas – außer öder Leere und bösen Geschöpfen«, herrschte Gisa ihn an.
»Was könnte schon schlimmer sein als hier?« fragte Finn ruhig.
Niemand konnte dagegen etwas sagen.
»Hier ist mein Vorschlag«, sagte Finn. »Seht diesen hohen Gipfel. Seht die Schichten harter Luft. Sie stoßen gegen den Gipfel, prallen ab, schweben hin und her und verschwinden schließlich. Wir wollen alle diesen Gipfel ersteigen, und wenn ein genügend großes Stück Luft vorbeikommt, klettern wir darauf und lassen uns von der Luft in die schönen Regionen tragen; die vielleicht außer Sichtweite existieren.«
Es gab Widerspruch. Der alte Mann, Tagart, meinte, er sei schwach; die Frauen machten sich darüber lustig, daß es die üppigen Regionen geben sollte, von denen Finn träumte. Aber schließlich schickten sie sich murrend und keifend an, die Felsspitze zu erklettern.
Es dauerte lange; der Obsidian war weich wie Gelee, und Tagart erklärte einige Male, er befände sich am Ende seiner Kräfte. Sie kletterten weiter und erreichten schließlich den Gipfel. Sie hatten kaum Platz darauf. Sie konnten nach allen Richtungen sehen, weit über die Landschaft, bis sich der Blick im wäßrigen Grau verlor.
Die Frauen schimpften und wiesen in verschiedenen Richtungen, aber von dem glücklichen Territorium war nur wenig zu erkennen. In einer Richtung zitterten blaugrüne Hügel, die Blasen voll Öl. In einer anderen Richtung lag ein schwarzer Streifen – eine Schlucht oder ein See aus Ton. In einer weiteren Richtung waren blaugrüne Hügel – dieselben, die sie in der ersten Richtung gesehen hatten; irgendwie hatte sich etwas verlagert. Unter ihnen dehnte sich die Ebene und glänzte wie ein irisierender Käfer, hie und da unterbrochen von schwarzen Samtflecken, auf denen eine fragwürdige Vegetation wucherte.
Sie sahen Organismen, ein Dutzend Gestalten, die an Tümpeln herumlungerten und Pflanzen oder kleine Steine oder Insekten mampften. Dann kam Alpha. Er bewegte sich langsam, immer noch von seiner Vision von Ehrfurcht erfüllt und die anderen Organismen ignorierend. Sie spielten weiter, aber dann waren sie plötzlich still und teilten seine Niedergeschlagenheit.
Auf dem Obsidiangipfel schnappte sich Finn einen vorüberwehenden Luftfaden und zog ihn heran. »Jetzt – alle hinauf, wir segeln ins Land des Überflusses.«
»Nein«, protestierte Gisa, »da ist kein Platz, und wer weiß schon, ob es in die richtige Richtung fliegt?«
»Wo ist die richtige Richtung?« fragte Finn. »Weiß das jemand?«
Niemand wußte es, aber die Frauen weigerten sich trotzdem, auf den Luftfaden zu steigen. Finn wandte sich zu Tagart. »Komm Alter, zeig diesen Weibern, wie es ist! Steig hinauf!«
»Nein, nein«, rief er. »Ich fürchte die Luft; das ist nichts für mich.«
»Steig auf, alter Mann! Dann kommen wir nach.«
Keuchend und von Angst erfüllt grub Tagart seine Hände tief in die schwammige Masse und zog sich auf die Luft hinauf. Seine dürren Beine hingen jetzt ins Nichts. »Jetzt«, sprach Finn, »wer ist der Nächste?«
Die Frauen weigerten sich immer noch. »Geh du doch selbst!« rief Gisa.
»Und soll ich dich zurücklassen, meine letzte Garantie gegen den Hunger? Steigt auf!«
»Nein. Die Luft ist zu klein; soll der Alte doch gehen, dann kommen wir auf einer größeren nach.«
»Also gut.« Finn ließ los. Die Luft schwebte über die Ebene, und Tagart saß rittlings darauf, klammerte sich fest, als hinge sein Leben davon ab.
Sie blickten ihm neugierig nach. »Seht«, sagte Finn, »wie schnell und leicht sich die Luft bewegt. Über die Organismen hinweg, über all den Schleim und die Unsicherheit.«
Aber die Luft selbst war unsicher, und das Floß des alten Mannes löste sich auf. Tagart klammerte sich an den entweichenden Winden fest und versuchte, sein Kissen zusammenzuhalten. Doch es entfloh unter ihm, und er stürzte.
Die drei auf dem Gipfel blickten der spindeldürren Gestalt nach, wie sie auf ihrem Absturz zur Erde, die weit unter ihr lag, um sich schlug.
»Jetzt«, rief Reak verdrießlich, »haben wir nicht einmal mehr Fleisch.«
»Nein, gar keins«, sagte Gisa, »nur den Seher Finn selbst.«
Sie musterten Finn. Gemeinsam würden sie ihm mehr als gewachsen sein.
»Vorsichtig«, rief Finn. »Ich bin der letzte der Männer. Ihr seid meine Frauen, meinen Befehlen unterworfen.«
Sie ignorierten ihn, murmelten einander zu und sahen ihn von der Seite an.
»Vorsichtig!« rief Finn. »Ich werfe euch beide von dieser Spitze hinunter.«
»Das hatten wir mit dir vor«, sagte Gisa.
Sie kamen vorsichtig und finster blickend auf ihn zu.
»Halt! Ich bin der letzte Mann!«
»Ohne dich sind wir besser dran!«
»Augenblick! Seht die Organismen an!«
Die Frauen sahen hin. Die Organismen standen zusammengedrängt da und starrten zum Himmel.
»Seht euch den Himmel an!«
Die Frauen sahen hin; das Milchglas war am Platzen, brach, schälte sich ab.
»Das Blau! Der blaue Himmel, wie er früher war!«
Ein schrecklich helles Licht brannte auf sie herunter, versengte ihnen die Augen. Die Strahlen wärmten ihnen den nackten Rücken.
»Die Sonne«, sagten sie mit ehrfürchtiger Stimme. »Die Sonne ist zur Erde zurückgekehrt.«
Der verhüllte Himmel war verschwunden; die Sonne stand stolz und hell in einem Meer aus Blau. Der Boden unter ihnen kochte, knackte, wogte, verfestigte sich. Sie spürten, wie der Obsidian unter ihren Füßen hart wurde. Seine Farbe verschob sich in glänzendes Schwarz. Die Erde, die Sonne, die Milchstraße, hatte die Region der Freiheit verlassen; die andere Zeit mit ihren Einengungen und ihrer Logik war wieder bei ihnen.
»Dies ist die Alte Erde«, rief Finn. »Wir sind Menschen der Alten Erde! Das Land gehört wieder uns!«
»Und was ist mit den Organismen?«
»Wenn dies die Erde ist, wie sie einmal war, dann sollen die Organismen sich hüten!«
Die Organismen standen auf einer niedrigen Bodenerhebung neben einem kleinen Rinnsal aus Wasser, aus dem schnell ein Fluß wurde, der auf die Ebene hinausfloß.
Alpha rief: »Hier ist meine Intuition! Es ist genauso, wie ich es wußte. Die Freiheit ist verschwunden; die Enge, die Einschränkung sind wieder da!«
»Wie werden wir sie besiegen?« fragte ein anderer Organismus.
»Ganz leicht«, sagte ein dritter. »Jeder muß einen Teil der Schlacht kämpfen. Ich habe die Absicht, mich gegen die Sonne zu schleudern und sie aus der Existenz zu verdrängen.« Und er duckte sich, warf sich in die Luft. Er fiel zurück und brach sich den Hals.
»Der Fehler liegt in der Luft«, sagte Alpha, »weil die Luft alle Dinge umgibt.«
Sechs Organismen rannten davon, um Luft zu suchen, taumelten in den Fluß und ertranken.
»Jedenfalls habe ich Hunger«, sagte Alpha. Er sah sich nach geeigneter Nahrung um. Er schnappte sich ein Insekt, das ihn stach. Er ließ es fallen. »Mein Hunger bleibt.«
Er erspähte Finn und die beiden Frauen, die die Felsspalte herunterkamen. »Ich werde einen der Relikte essen«, sagte er. »Kommt, laßt uns alle essen!«
Drei von ihnen setzten sich in Bewegung – wie üblich in willkürlichen Richtungen. Zufällig stieß Alpha auf Finn. Er schickte sich an zu essen, aber Finn hob einen Felsbrocken auf. Der Felsbrocken blieb ein Felsbrocken, hart, scharf, schwer. Finn schwang ihn und freute sich an seinem Gewicht. Alpha starb mit zerschmettertem Schädel. Einer der anderen Organismen versuchte, über eine Felsspalte zu treten, die zwanzig Fuß breit war, und verschwand in ihr; der andere setzte sich, schluckte Felsen, um seinen Hunger zu stillen, und verfiel gleich darauf in Zuckungen.
Finn deutete in dem frischen, neuen Land in verschiedene Richtungen. »In jenem Viertel, die neue Stadt, wie die aus den Legenden. Hier drüben die Farmen, das Vieh.«
»Wir haben das alles doch nicht«, protestierte Gisa.
»Nein«, sagte Finn. »Jetzt nicht. Aber die Sonne geht wieder auf und geht wieder unter, Stein hat wieder Gewicht und Luft keines. Wasser fällt wieder als Regen herunter und fließt zum Meer.« Er trat vor, über den gefallenen Organismus hinweg. »Laßt uns Pläne machen!«
Originaltitel: »The Men Return« Copyright © 1957 by Royal Publications, Inc. (in »Infintiy Science Fiction«, Juli 1957) Deutsche Übersetzung von Heinz Nagel